3. Februar 2023

„Die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland ist trotz Corona-Pandemie kaum zurückgegangen“

Einmal im Jahr veröffentlicht das Statistische Bundesamt (Destatis) den Bericht „Deutsche Studierende im Ausland“. Die hierin enthaltenen Daten sind – wie andere Destatis-Daten auch – eine wichtige Grundlage für Wissenschaft weltoffen. Aber wie kommen diese Daten eigentlich genau zustande? Was ist bei ihrer Interpretation zu beachten? Und welche Schlussfolgerungen lassen sich auf Basis der diesjährigen Ausgabe des Berichts ziehen? Nachgefragt bei den beiden zuständigen Destatis-Mitarbeitern Hans-Werner Freitag und Lorenz Ade.

Lorenz Ade (l.) und und Hans-Werner Freitag sind im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden u.a. zuständig für die Erstellung der jährlichen Publikation „Deutsche Studierende im Ausland“. (Bildquelle: privat)

Bevor wir zu den inhaltlichen Ergebnissen kommen: Könnten Sie einmal kurz erklären, wie genau die Daten für „Deutsche Studierende im Ausland“ erhoben werden und was dies für Konsequenzen für die Interpretation der Daten hat?

Hans-Werner Freitag: Unsere Statistik basiert hauptsächlich auf einer jährlichen Umfrage des Statistischen Bundesamtes bei den mit der Bildungsstatistik befassten Institutionen ausgewählter Ziel-Staaten deutscher Studierender. Ergänzt wird die Statistik durch Daten des UNESCO Institute for Statistics, Eurostat und der OECD. Durch diese Zusammenstellung von Daten aus mehreren Quellen können wir die Situation von Studierenden sehr umfassend darstellen. Die unterschiedlichen Quellen bringen es allerdings auch mit sich, dass die Ergebnisse einigen methodischen Einschränkungen unterliegen. Vor allem bei der Definition der „deutschen Studierenden“ gibt es Unterschiede zwischen den Ländern und auch im Zeitreihenvergleich. Zwar wird weitgehend auf das Konzept mobile Studierende aus Deutschland zurückgegriffen, was gemäß internationaler Definition Studierende mit Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland meint, allerdings ist dieses Konzept zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den Berichtsländern eingeführt worden, was die Vergleichbarkeit zwischen den Berichtsjahren einschränkt. Auch inkludieren manche Länder Zahlen zu Erasmus-Studierenden, während andere diese nicht berücksichtigen.

Trotz dieser Vorbehalte gibt die Statistik wichtige Anhaltspunkte zur Auslandsstudienneigung deutscher Studierenden wieder. So liefern wir nicht nur Zahlen zur Gesamtzahl deutscher Studierender in einem Land, sondern bereiten diese auch nach angestrebtem und erreichtem Abschluss sowie der Fachrichtung des Studiums auf. Dadurch können wir Politik, Wissenschaft und der interessierten Öffentlichkeit nützliche und relevante Daten zum Auslandsstudium der Deutschen liefern.

Nun zu den inhaltlichen Befunden der neuesten Erhebung: Wo gab es hier die größten Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr, die nicht nur die Folge statistischer Brüche sind?

Lorenz Ade: Die wichtigste Erkenntnis ist sicherlich, dass die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland trotz Corona-Pandemie kaum zurückgegangen ist. Für 2020 verzeichnen wir nur einen Rückgang von 3,3 Prozent weltweit, was ca. 4.500 Studierenden entspricht. Zwar geben unsere Zahlen keine Auskunft darüber, ob die Studierenden tatsächlich vor Ort waren oder mit Hilfe von Remote-Learning ihr Studium temporär oder durchgehend fortgesetzt haben. Sie belegen aber, dass der internationale akademische Austausch fast ungestört weitergelaufen ist. In den einzelnen Ländern weichen die Entwicklungen allerdings durchaus von der Gesamtentwicklung ab. Stark rückläufig war die Anzahl der deutschen Studierenden vor allem in China, mit einem Rückgang von rund 4.700 Studierenden bzw. 58 Prozent, und den USA, mit einem Rückgang von rund 3.900 Studierenden bzw. 42 Prozent. Hier vermuten wir, dass strenge Einreisebeschränkungen dazu geführt haben, dass deutsche Studierende ihr Studium lieber abgebrochen oder anderswo fortgesetzt haben. Zuwächse an deutschen Studierenden gab es dagegen vor allem in Österreich, mit einer Zunahme um rund 3.600 Studierende bzw. zwölf Prozent, und den Niederlanden, mit einer Zunahme um rund 2.100 Studierende bzw. neun Prozent. Diese Ziele sind wahrscheinlich durch ihre geographische Nähe und ihr breites Angebot noch beliebter geworden.

Wo zeigen sich aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen den deutschen Studierenden im Ausland und im Inland und wie lassen sich diese erklären?

Lorenz Ade: Den typisch deutschen Studenten oder die typisch deutsche Studentin im Ausland gibt es so gar nicht. Jedes Gastland und vor allem jedes Hochschulsystem hat seine Besonderheiten und ist daher unterschiedlich attraktiv für den einzelnen Studierenden. Das klassische Beispiel ist hier die hohe Anzahl an deutschen Medizinstudierenden in Mittel- und Osteuropa, weil sie dort ohne die deutschen Zulassungsbeschränkungen vermutlich leichter einen Studienplatz bekommen haben. Frankreich hingegen ist sehr beliebt für Geistes- und Sozialwissenschaften. Auch was den angestrebten Abschluss angeht, gibt es Unterschiede. So sind die Niederlande, die Türkei und Griechenland sehr beliebt bei Bachelorstudierenden. Australien und Neuseeland hingegen weisen hohe Quoten an Promovierenden aus, vermutlich weil dort die Betreuung sehr gut ist. Und alles außer Studierenden der Geisteswissenschaft – überwiegend der Theologie – oder den Künsten sucht man in der Vatikanstadt vergeblich. Studieren gestaltet sich also in jedem Land ganz individuell. Die Unterschiede zu Studierenden in Deutschland ergeben sich daher aus den unterschiedlichen Bildungssystemen und den Angeboten für die Studierenden.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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