„Dem Vertrauensvorschuss von damals immer wieder gerecht werden“

DAAD/Falcone

Dr. Katharina von Ruckteschell-Katte, Direktorin des Goethe-Instituts London, und DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee in den Räumen des Goethe-Instituts in der Princes Gate Exhibition Road Nr. 50.

Anlässlich des 70-jährigen Bestehens der DAAD-Außenstelle London trafen sich die Direktorin des Goethe-Instituts London, Dr. Katharina von Ruckteschell-Katte, und DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee in der britischen Hauptstadt zum gemeinsamen Gespräch über den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch mit dem Vereinigten Königreich.

Liebe Frau Dr. von Ruckteschell-Katte, lieber Herr Professor Mukherjee, wir treffen uns in London, im Goethe-Institut. Beide Institutionen, Goethe-Institut und DAAD, sind Aushängeschilder deutscher Wissenschaft und Kultur im Ausland. Was verbindet die Arbeit der beiden aus Ihrer Sicht miteinander?
Katharina von Ruckteschell-Katte: Zunächst eine jahrzehntelange Freundschaft, zumal beide Organisationen wesentlich vom Auswärtigen Amt finanziert werden. Eine besondere Schnittstelle ist darüber hinaus die Förderung der deutschen Sprache und die Vorbereitung von Studierenden, die nach Deutschland gehen wollen.

Joybrato Mukherjee: Ja, die deutsche Sprache ist eine starke inhaltliche Brücke zwischen unseren Organisationen. Beim DAAD steht dabei Deutsch als Wissenschaftssprache im Vordergrund. Sie feiern dieses Jahr 60 Jahre Goethe-Institut in London, wir 70 Jahre DAAD-Außenstelle. Wir arbeiten seit vielen Jahren vor Ort gut zusammen und werden auch im gemeinsamen Auftritt wahrgenommen: beim Werben für den Wissenschaftsstandort und für den Standort Deutschland insgesamt.

Derzeit finden im Vereinigten Königreich große Veränderungen statt, eine neue Premierministerin ist im Amt, ein neuer König auf dem Thron. Was erwarten Sie sich von diesen Entwicklungen?
Mukherjee: Es ist ein großer Einschnitt für Großbritannien: Das zweite elisabethanische Zeitalter ist vorüber. Vor König Charles stehen gewaltige Herausforderungen, und man wird sehen, wie stark die Menschen im Land sich von ihm mitnehmen lassen. Was die neue Regierungschefin angeht: Sie gilt als jemand, die durchaus offensiv vorgehen will und auch auf kurzfristige disruptive Lösungen setzt. Ich erhoffe mir natürlich mehr Stabilität und Verlässlichkeit, vor allen Dingen aber eine Lösung für die Fragen, die uns im DAAD umtreiben: der Ausstieg aus Erasmus, wie geht es mit Horizon Europe weiter, und wie wollen wir den akademischen Austausch entwickeln, wenn inzwischen rund 40 Prozent weniger Deutsche im Vereinigten Königreich studieren?

von Ruckteschell-Katte: Charles wird sicherlich eine neue Ära begründen, auch, um das Königshaus zu modernisieren und erwartbar zu verkleinern. Für Deutschland liegt in seiner Thronbesteigung eine große Chance: Er hat ein recht enges Verhältnis zur Bundesrepublik, war oft im Land und spricht etwas Deutsch. Wir sollten dies als Mittlerorganisationen für den Ausbau der Beziehungen nutzen. Wir hatten beispielsweise im Goethe-Institut einmal eine sehr erfolgreiche Veranstaltung zu einem Jubiläum von Königin Victoria und Prinz Albert. Wir haben Liebesbriefe der beiden ausgestellt, und die Besucherinnen und Besucher haben Briefe im Stile von Victoria und Albert geschrieben. Wir haben so gelernt, dass die Menschen auch über die „Royals“ einen Zugang zu Deutschland finden können. Die neue Premierministerin nehme ich als „hands on“-Politikerin wahr, die anpackend und manchmal impulsiv handelt. Vielleicht liegt hierin eine Chance für einen pragmatischeren Angang an Fragen wie das Nordirland-Protokoll oder weitere Diskussionspunkte mit der Europäischen Union.

„Dem Vertrauensvorschuss von damals immer wieder gerecht werden“

DAAD/Falcone

Dr. Katharina von Ruckteschell-Katte leitet das Goethe-Institut London, das 2022 sein 60-jähriges Bestehen feiert.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte: Die DAAD-Außenstelle London wurde 1952 eröffnet, vor der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich. Das Goethe-Institut öffnete 1962 seine Pforten. Inwieweit trugen und tragen Goethe-Institut und DAAD zur deutschen Außenwissenschafts- und Kulturpolitik bei?
von Ruckteschell-Katte: Die Bundesrepublik hatte damals das Glück, dieses große Haus preisgünstig erwerben zu können, es war damals eine heruntergekommene Gegend. Wichtiger als die Immobilie ist aber die kontinuierliche Präsenz vor Ort und das tiefe Eintauchen in die Kulturszene. Wir sind inzwischen mit allen Institutionen in der Umgebung partnerschaftlich verbunden: dem Victoria and Albert Museum, dem National History Museum, dem Imperial College oder der Royal Albert Hall. 1962 war es unsere Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen, nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Eines der besten Mittel dazu war und ist es, junge Menschen zusammenzubringen und über Kultur, über Wissenschaft gemeinsam kreativ zu sein. Dies ist heute wichtiger denn je: Wir leben in einer Welt, wo politisch polarisierende Bewegungen verstärkt zu Krisen und Kriegen führen.

Mukherjee: Wir leben in Zeiten, in der viele wieder auf Abschottung setzen, trotz der gigantischen Herausforderungen, die uns alle gemeinsam auf dem Planeten betreffen – eine paradoxe Situation. Die Geschichte des DAAD hält aber auch Hoffnungsschimmer bereit: Es war 1947 nicht absehbar, dass Sir Robert Birley als Education Officer der britischen Besatzungsbehörden in Deutschland die Wiedergründung des DAAD empfehlen würde. Nachdem der DAAD 1950 in Bonn erneut gegründet war, setzte sich Birley umgehend für eine Außenstelle in London ein. Kurz nach dem Zivilisationsbruch der Deutschen setzte er auf enge akademische Beziehungen und Austauschprogramme. Das war ein gewaltiger Vertrauensvorschuss, und unsere Arbeit als DAAD besteht auch darin, diesem Vertrauensvorschuss von damals immer wieder gerecht zu werden. Mit Blick auf die aktuelle Außenwissenschaftspolitik ist Großbritannien für Deutschland und deutsche Studierende weiterhin ein sehr wichtiges Partnerland, einige der besten Hochschulen der Welt sind in Großbritannien. Es ist daher unsere Aufgabe, mit diesem starken, attraktiven Partner aus großem wissenschaftlichem Interesse heraus zusammenzuarbeiten. 

Wir kommen aus zwei Jahren Coronapandemie, Lockdowns und digitalen Vorlesungen und Konferenzen. Wie ist die Stellung von Auslandsbüros in solchen Zeiten fortschreitender Digitalisierung? Wie wichtig sind diese Büros?
Mukherjee: Die Coronapandemie hat gezeigt, dass man über digitale Formate einiges kompensieren kann, wenn es keine physischen Begegnungen gibt. Zugleich gibt es klare Grenzen: Wenn ein Erasmus-Student oder eine -Studentin eine andere Kultur kennenlernen will, dann geht dies nur vor Ort. Zugleich merken wir, dass digitale und hybride Formate ihren Wert haben und setzen sie verstärkt ein: Wir laden beispielsweise in der Außenstelle nicht mehr alle Bewerberinnen und Bewerber zu Interviews nach London ein, dies geht sehr gut digital und erspart An- und Abreise und damit CO2-Emissionen. Zugleich bleibt es unsere Kernmission, für physischen Austausch zu sorgen und Menschen sich begegnen zu lassen. Man muss vor Ort sein, sonst ist man bei zentralen Entwicklungen und Ereignissen nicht dabei und kann die so wichtige Netzwerkbildung nicht vorantreiben. Daher ist unsere Präsenz in London, auch wenn sie natürlich deutsches Steuergeld kostet, unerlässlich für wissenschaftliche Zusammenarbeit und den Austausch.

von Ruckteschell-Katte: Ich würde sogar noch weiter gehen: Wir haben durch diese Pandemie erst richtig realisiert, wie wichtig der physische Kontakt und Austausch ist. Man hat viel versucht zu kompensieren und zu retten, aber wir haben alle gemerkt, dass wir ohne physischen Austausch verkümmern, gerade künstlerisch. Zugleich würde ich sagen, dass die Pandemie auch etwas getriggert hat: Eine neue Welt entsteht, eine eigene digitale Welt. Gerade junge Menschen bewegen sich stark in dieser Welt, und wir sollten sehr genau beobachten, was dort passiert. Das Digitale hilft eben nicht nur Flüge zu sparen, sondern ebnet auch einer neuen Lebens- und Kreativkultur den Weg. Insofern ist dies sehr spannend, und wir engagieren uns als Goethe-Institut sehr im digitalen Bereich.

Der Brexit war und ist unverändert ein massiver Einschnitt in die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland. Was bedeutet er für die konkrete Arbeit von DAAD und Goethe-Institut? 
von Ruckteschell-Katte: Man gewöhnt sich leider daran, dass es kompliziert ist. Ab nächstem Jahr können wir zum Beispiel keine Praktikantinnen und Praktikanten mehr einstellen, weil sie nicht mehr über das Erasmus-Programm kommen können. Ein Punkt, der uns besondere Sorgen bereitet, ist die Frage, wie wir Künstlerinnen und Künstler, die nach Europa auf Tournee gehen, unterstützen können, damit sie nicht für jedes Land ein Visum beantragen müssen und überall unterschiedliche Einfuhrbestimmungen haben. Wir hoffen sehr darauf, dass beispielsweise die bilaterale deutsch-britische Kontrollkommission, die eingerichtet werden soll, hier etwas bewegt. Zugleich ist Deutschland Teil der EU, und wir können und wollen nicht ohne die anderen europäischen Länder Verabredungen zu Visa-Fragen oder Ähnlichem treffen.

Mukherjee: Wir merken die negativen Effekte im Wissenschaftsbetrieb an den harten Zahlen: Klarer Einbruch bei den deutschen Studierenden, die nach Großbritannien kommen. Diese Entwicklung wird weitergehen, wenn ab März Erasmus wegfällt. Wir sehen es aber auch bei der gemeinsamen Forschung, da Großbritannien nicht mehr an europäischen Forschungsprogrammen teilnehmen kann. Zugleich müssen wir irgendwann den Brexit als Entscheidung der Briten abhaken, uns von der Vergangenheit lösen und nach vorn blicken: Natürlich können wir in Deutschland mit Ländern gut und intensiv zusammenarbeiten, die nicht Mitglied der EU sind. Wir müssen jetzt Mechanismen finden, wie wir diese intensive Zusammenarbeit im Interesse beider Seiten gestalten.

„Dem Vertrauensvorschuss von damals immer wieder gerecht werden“

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Will beim Brexit den Blick nach vorn richten: DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee.

Wie groß ist derzeit das Interesse im Vereinigten Königreich an Deutschland, seinen Hochschulen, der deutschen Sprache und Kultur? Und wie sieht es umgekehrt in Deutschland in Bezug auf britische Hochschulen und Kultur aus?
von Ruckteschell-Katte: Mit dem Brexit ist das Interesse an Deutschland meiner Wahrnehmung nach größer geworden. Wir sehen dies beispielsweise bei der Nachfrage nach Deutsch als Fremdsprache an den Schulen, wo der jahrzehntelange Rückgang gestoppt wurde. Zudem wächst die Nachfrage danach, mit uns zu kooperieren, sich mit uns auszutauschen und gemeinsame Kulturprojekte zu machen. Auch hat sich Deutschlands Image in den vergangenen Jahren stark verbessert, vor allem dank der großen Popularität Berlins hier im Land. Dieses sehr positive Bild der Bundesrepublik stärkt die Nachfrage nach Austausch und Begegnung, kulturell und künstlerisch.

Mukherjee: In der Tat, das Interesse ist ungebrochen. Zugleich sehen wir, dass finanzielle Hürden beim Studium eine größere Rolle spielen und für den wissenschaftlichen Bereich verschiedene Visa-Regularien hinzukommen, die es vorher nicht gab. Aber das Interesse im Wissenschaftsbereich hält an, auch weil die Institutionen hier so leistungsstark und international sehr attraktiv sind. Wenn man nach Großbritannien kommt, an gute Universitäten, dann kommt man ja nicht in monokulturelle Institutionen. Ganz im Gegenteil: Es gibt internationale, diverse Teams, und in Sachen Internationalität und Diversität kann man sich von britischen Einrichtungen sicherlich einiges in Deutschland abschauen. Zugleich schätzt man im Vereinigten Königreich das deutsche Universitätsmodell und die Wissenschaftstradition der Deutschen, hier gibt es eine sehr weit zurückreichende Perspektive auf Deutschland als erfolgreiches Wissenschaftsland. Das deutsche Wissenschaftssystem ist in den letzten 25 Jahren attraktiver und insgesamt leistungsstärker geworden, und die Briten sind stets interessiert daran, mit starken Partnern zusammenzuarbeiten. Zudem geht es in der Post-Brexit-Phase darum, Wege zu finden, wie man dieses anhaltende Interesse auch wirklich in neue Formen bringen kann.

Zum Abschluss: Wenn Sie auf die britische Kultur und Wissenschaft blicken: Welches Buch, welchen Film sollte man in Deutschland unbedingt gesehen oder gelesen haben, um mehr von unseren Nachbarinnen und Nachbarn auf der Insel zu erfahren?
von Ruckteschell-Katte: Es sind gerade zwei herausragende Frauen in England verstorben. Queen Elizabeth II und Hilary Mantel. Daher empfehle ich aus aktuellem Anlass die Serie „The Crown“. Sie ist sehr unterhaltsam und man lernt viel über das Königshaus, aber auch über die britische Geschichte. Weiterhin empfehle ich Hilary Mantels Trilogie über Thomas Cromwell. Es spielt in einer Zeit, in der sich England vom Papst lossagte, eine eigene Kirche aufbaute und sich auf die Insel zurückzog – ein wenig vergleichbar mit dem Brexit. Für beides braucht man Zeit, aber beides ist sehr schön zu lesen und zu sehen.

Mukherjee: Dann fächere ich dies auch auf: Wenn man das moderne London verstehen will, empfehle ich den Film „Sammy and Rosie get laid“ von 1987: das London der Thatcher-Zeit, viele Konflikte, und zugleich wird das multikulturelle London so langsam Alltag. Und als Buch – in der gleichen Tradition – von Zadie Smith „London NW“. Es spielt im Nordwesten Londons und betrachtet ein Vierteljahrhundert nach Sammy and Rosie das multikulturelle London und seine Herausforderungen. Beide öffnen den Blick auf Großbritannien durch das multikulturell vibrierende London.

Interview: Michael Flacke (11. Oktober 2022)