Langzeitdozentur in Polen: Veränderungen durch Austausch

Pimenta Studio

Engagiert sich für einen stärkeren akademischen Austausch zwischen Polen und Deutschland: Prof. Dr. Aleksandra Maatsch, Langzeitdozentin am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau.

Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Aleksandra Maatsch ist Langzeitdozentin am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau und leitet den dortigen Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik – nach einigen Forschungsstationen im europäischen Ausland für die gebürtige Polin auch eine Rückkehr in die eigene Heimat.

Es ist der Lebenslauf einer umtriebigen internationalen Forscherin: Studium in Polen und Ungarn, Promotion in Bremen, Postdoc in Madrid und Cambridge, Habilitation in Chemnitz und nun eine Langzeitdozentur am Willy-Brandt-Zentrum sowie ein von der Europäischen Kommission vergebener Jean-Monnet-Lehrstuhl in Breslau. Auch die Forschungsschwerpunkte der Politikwissenschaftlerin Aleksandra Maatsch könnten kaum passender sein: Die gebürtige Polin beschäftigt sich mit der vergleichenden Analyse der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Integrationsprozesse in der Europäischen Union, besonders vor dem Hintergrund aktueller Krisen wie der globalen Covid-19-Pandemie. „Im Fokus meiner Arbeit stehen natürlich auch die deutsch-polnischen Beziehungen, und zwar in zweierlei Hinsicht: Ich beobachte das Verhältnis der beiden Länder nicht nur als Politikwissenschaftlerin, sondern engagiere mich ganz im Sinne des DAAD auch für einen stärkeren akademischen Austausch zwischen Polen und Deutschland“, erklärt sie.

Dieses Engagement reicht von der Organisation von Seminaren, in denen Maatsch Studierende und Fachleute aus der EU-Politik zusammenbringt, über die Ermutigung der Studierenden, sich an internationalen Forschungsprojekten zu beteiligen, bis hin zur Initiierung gemeinsamer Forschungsvorhaben über Ländergrenzen hinweg. Im Frühjahr 2022 wurde eine erste Doppelpromotion zwischen der Universität Chemnitz und dem Willy-Brandt-Zentrum angestoßen, weitere sollen folgen. Die Besonderheit: Die Doktorandinnen und Doktoranden werden dabei nicht nur von Forschenden aus Polen und Deutschland betreut, sondern erwerben auch einen doppelten Abschluss. Das Interesse an solchen Angeboten ist groß und der Forschungsstandort Deutschland für junge Promovierende aus Polen nach wie vor sehr attraktiv. „Mein Ziel ist es, Kooperationen zwischen Hochschulen weiter auszubauen, mehr junge Forschende nach Breslau zu holen und damit den hiesigen Forschungsstandort nachhaltig zu stärken“, sagt die Professorin.

Breslau – ein beliebtes Ziel für ausländische Studierende
Ein Vorhaben, das die Politikwissenschaftlerin auch als eine Art Brückenschlag zwischen den Ländern versteht. Schließlich sei das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau in den letzten Jahren alles andere als einfach. Das zeigten aktuelle Debatten um Reparationszahlungen für die Verbrechen der Nationalsozialisten in Polen oder die Kritik am rechtspopulistischen Kurs der polnischen Regierung, gerade in Bezug auf die Rechte von Minderheiten oder die Unabhängigkeit der Medien. Dagegen sei am Hochschulstandort Breslau unter den Studierenden von all diesen Spannungen erfreulich wenig zu spüren, so Maatsch.

Die Stadt in Schlesien gilt als modern und weltoffen. Sie besticht durch eine malerische Altstadt sowie eine junge und bunte Kulturszene. Auch die Hochschulen Breslaus haben einen ausgezeichneten Ruf, sehr viele Lehrveranstaltungen werden auf Englisch angeboten. Zudem sind die Lebenshaltungskosten niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern. „Breslau ist ein beliebtes Ziel bei Erasmus-Studierenden aus ganz Europa. Das erleben wir auch bei unseren Seminaren am Willy-Brandt-Zentrum. So kommen oft sehr vielfältige Perspektiven auf europäische Beziehungen zusammen“, berichtet Maatsch. Die Internationalität empfindet sie als große Bereicherung für Studierende und Lehrende. Immerhin gehe es ganz im Geiste des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt auch darum, den Wert von internationalem Austausch und Zusammenarbeit zu vermitteln sowie nationalstaatlichem Denken und Populismus entgegenzutreten.

Langzeitdozentur in Polen: Veränderungen durch Austausch

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Prof. Dr. Aleksandra Maatsch bei einer Veranstaltung im Europäischen Haus in Breslau mit Mitgliedern des polnischen und des Europäischen Parlaments. 

Ankommen und weiterentwickeln
In Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin wird immer wieder deutlich, dass sie sich nicht nur als aufmerksame Beobachterin internationaler Beziehungen versteht, sondern etwas verändern möchte – vor allem in ihrem Heimatland. „Es ist auch eine Aufgabe der Politikwissenschaft, eine offene und sachliche Debatte zu führen über die Themen, die Studierende derzeit sehr beschäftigen, zum Beispiel darüber, wie man die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Polen nachhaltig stärken kann. Hierzu trägt der Lehrstuhl auch mit einer Reihe öffentlicher Diskussionsveranstaltungen bei“, sagt sie. Um ihr vielfältiges, wichtiges Engagement langfristig fortsetzen zu können, hat sich Maatsch entschieden, auch nach dem baldigen Ende ihrer DAAD-Langzeitdozentur nicht nach Deutschland zurückzukehren, sondern in Breslau zu bleiben. Es ist eine Art Ankommen nach langer akademischer Reise: Sie wuchs selbst in Schlesien auf.

Als erste Inhaberin des Jean-Monnet-Lehrstuhls an der Universität Breslau hat Aleksandra Maatsch auch eine Vorbildfunktion: Im Hochschulsystem Polens sind Frauen in akademischen Führungspositionen immer noch selten, selbst in den Politikwissenschaften, einer Disziplin mit hohem Frauenanteil. „Das Problem der akademischen Frauenförderung kennen natürlich auch andere Länder. In Polen ist diesbezüglich noch viel zu tun“, sagt sie. Auch hier möchte die umtriebige Wissenschaftlerin in Zukunft mehr Akzente setzen und Veränderungen anstoßen.

Birk Grüling (27. September 2022)