Langzeitdozentur in Bethlehem: „Nichts ist einfach“

Privat

Prof. Dr. Jutta Häser mit Studierenden der Universität Frankfurt am Main an der Ausgrabungsstelle auf dem Tall Zirā’a in Jordanien — ein Projekt, das sie lange leitete.

Die Archäologin Prof. Dr. Jutta Häser engagiert sich seit September 2021 als DAAD-Langzeitdozentin an der Bethlehem University im Westjordanland. Ob an der Universität oder im Alltag – der israelisch-palästinensische Konflikt prägt das Leben in der Region und legt viele Steine in den Weg. Doch die Wissenschaftlerin hat ein Ziel vor Augen.

Gibt es einen besseren Ort als Bethlehem, um Weihnachten zu feiern? Für die Archäologin Jutta Häser wird es 2022 bereits das zweite Mal sein, dass sie das Fest dort verbringt, wo es seinen Anfang nahm. Die Wissenschaftlerin erinnert sich noch an das vergangene Jahr, als sie mit einer katholischen Christengruppe in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember von Jerusalem nach Bethlehem wanderte und nach dem Besuch der Geburtskirche durch die stillen, erleuchteten Gassen lief. Die Touristenmassen waren fortgeblieben – Corona hatte Bethlehem noch im Griff. „Das war ein schönes Erlebnis – sehr kontemplativ“, erinnert sich Häser. 

Langzeitdozentur in Bethlehem: „Nichts ist einfach“

Privat

Die Archäologin Prof. Dr. Jutta Häser Weihnachten 2021 in Bethlehem.

So beschaulich geht es im Alltag der Wissenschaftlerin sonst nicht zu. Seit September 2021 arbeitet sie als Langzeitdozentin des DAAD an der Bethlehem University, einer christlichen Hochschule mit rund 3.300 Studierenden und etwa 340 Mitarbeitenden. Dieses Verhältnis zeigt schon, dass auf die persönliche Betreuung großen Wert gelegt wird. Die Archäologin arbeitet an der Universität vor allem in dem neuen Studiengang „Archaeology & Cultural Heritage“, der erst gestartet ist, als sie nach Bethlehem kam. „Das war auch etwas, das mich an der Dozentur gereizt hat – etwas komplett Neues, das ich mitgestalten kann“, sagt Häser. Derzeit gibt es zwei Jahrgänge mit insgesamt 32 Studierenden im Bachelor. Das Ziel ist, später auch einen Masterstudiengang einzurichten. „Der Input von außen durch die DAAD-Langzeitdozentur ist ein wichtiger Aspekt bei der Anerkennung des Studiengangs“, betont sie. Obwohl es ihre erste Stelle an einer Universität ist, bringt die Wissenschaftlerin dafür alles mit: Ihre Forschung ist breit gefächert, was für die Lehre wichtig ist. Denn die Professorin unterrichtet alles von der Prähistorie bis zum Islam. Auch im Kulturerbemanagement hat sie schon gearbeitet. Bevor sie nach Bethlehem ging, war Jutta Häser fünf Jahre lang Managerin des Kooperationsprojekts DOJAM (Documentation of Objects in Jordanian Archaeological Museums) vom DEI (Deutsches Evangelisches Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes) und dem jordanischen Antikendienst, das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird. Ein Projekt, das ihr sehr am Herzen liegt: „Wir müssen das Kulturerbe erhalten, sonst sind die Dinge zum zweiten Mal verloren.“

Ausschlaggebend dafür, dass sie die Stelle in Bethlehem bekam, sei daher weniger ihre Lehrtätigkeit gewesen, sondern ihre Erfahrung im sogenannten Orient. „Insgesamt habe ich 15 Jahre in Jordanien gelebt und gearbeitet. Ich kenne die Verhältnisse in der Region, war auch schon vorher in Israel sowie den palästinensischen Gebieten, bin vertraut mit der Sicherheitslage und den Zuständen hier“, fasst sie zusammen. Und die sind in Bethlehem speziell. Die Stadt, in der rund 30.000 Menschen leben, liegt in den palästinensischen Autonomiegebieten und grenzt an Jerusalem. Die beiden Städte trennt eine acht Meter hohe Mauer, die zum Teil mitten durch Wohngebiete verläuft. Momentan sei die Lage wieder sehr angespannt. Neulich erst wurde eine israelische Soldatin von einem Palästinenser überfahren. Israelische Soldaten erschossen daraufhin mehrere Palästinenser, Steinwürfe, Tränengas – die Gewalt gehört zum Alltag. Oft wird gestreikt. „Man lernt damit zu leben“, erklärt Häser. Sie ist gut vernetzt, über soziale Medien erfährt sie, wo wieder etwas los ist, welcher Checkpoint geschlossen ist, welche Spots zu meiden sind. Alle sind davon betroffen, auch die Studierenden, die täglich viel auf sich nehmen, um zur Universität zu kommen.

Langzeitdozentur in Bethlehem: „Nichts ist einfach“

Privat

Prof. Dr. Jutta Häser (vorne links) auf einer Exkursion nach Artas.

Archäologie als Politikum
Die Politik macht auch vor der Hochschule nicht halt. „Die Archäologie hat in den vergangenen 20 Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Durch die Beschäftigung mit den Themen Identität, Kulturerbe und dessen Erhaltung hat sich der Blick auf das Fach gewandelt. Und in dieser Region ist der Blick noch einmal ganz speziell: Archäologie rangiert hier ganz oben und ist ideologisch aufgeladen“, erklärt die Forscherin. Das Fachgebiet diene auch als Beweis für das, was man politisch auf beiden Seiten der Mauer erreichen möchte. Ausgrabungen im heutigen Westjordanland seien sehr wichtig für Israel, weil hier die meisten Spielstätten der biblischen Geschichten liegen. „Das ist auch in der Lehre eine große Herausforderung, weil an meiner Universität ganz und gar die palästinensische Sichtweise vertreten wird. Tatsächlich muss man in diesem Konflikt immer beide Seiten sehen, aber die verschließen schon fast mechanisch die Augen für die jeweils andere. Es gibt nur wenige Menschen, die auf einen Ausgleich hinwirken“, so Häser. Dass die Gegenseite nicht gesehen wird, liege allerdings auch am mangelnden Wissen über die anderen. Es gibt schon lange keinen Kontakt mehr, und jeder sieht nur das, was täglich passiert – der Konflikt ist immer präsent. 

Wie positioniert man sich als deutsche Dozentin zwischen solch verhärteten politischen Fronten? „Es ist schwierig für mich und nach außen hin, weil man doch sehr zurückhaltend sein muss. Ich höre mir erst mal alles an und schaue, wie es läuft. Ich muss auch vorsichtig sein gegenüber den Studierenden. Sie haben eine fixe Meinung, sind vom Wissensstand her gar nicht so weit, dass sie darüber diskutieren könnten. Da muss man sie ganz vorsichtig hinführen, ihnen Grundkenntnisse vermitteln, das ist viel Arbeit. Zurzeit unterrichte ich Prähistorie, das ist noch nicht so politisch. Bei der Eisenzeit – der biblischen Zeit – wird es schwieriger“, sagt die Archäologin. Überhaupt sei der Bildungsstand der jungen Leute problematisch, wenn sie das Studium beginnen. Aus der Schule kennen sie nur Frontalunterricht, kritisches Hinterfragen und Selbststudium sind ihnen unbekannt. So müssten im ersten von vier Studienjahren zunächst die Grundlagen für das Studium geschaffen werden.

Langzeitdozentur in Bethlehem: „Nichts ist einfach“

Privat

Ganz und gar der Archäologie verschrieben: Prof. Dr. Jutta Häser bei Ausgrabungen auf dem Tall Zirā’a in Jordanien.

Exkursionen und Ausgrabungen
Aber das Gute ist, dass Archäologie nicht nur am Schreibtisch studiert wird, sondern auch draußen im Feld. Das hat Jutta Häser von Anfang an gereizt. Schon mit zehn Jahren wusste sie, dass sie Archäologin werden wollte. Kurz vor dem Abitur besuchte sie den Kreisarchäologen von Osnabrück, der sie auf das Fach „Vorderasiatische Archäologie“ brachte. „Und ich wusste sofort, das ist meins“, erinnert sich Häser. Sie studierte zunächst an der Universität Göttingen, später im dänischen Aarhus und in Berlin. Nach dem Abschluss führten sie zahlreiche Forschungsprojekte in unterschiedliche Länder des Nahen Ostens. Fast zehn Jahre lang war sie Direktorin des DEI in Amman. Als Ko-Direktorin des „Gadara Region Project“ leitete sie die Ausgrabungen auf dem Tall Zirā’a, die vom DEI und dem Biblisch-Archäologischen Institut (BAI) in Wuppertal gemeinschaftlich durchgeführt wurden. Mit ihren Studierenden, darunter auch angehende Lehrerinnen und Lehrer, macht die Professorin zurzeit Exkursionen. Doch das langfristige Ziel ist eine Ausgrabung in der Nähe von Bethlehem. Auch das ist nicht einfach zu organisieren: „Die Ausgrabungsstelle muss im A-Gebiet liegen, wo die Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde obliegt, sonst bekommen wir dafür keine Genehmigung. Eins habe ich im Laufe der Jahre gelernt: Man muss bei allen Vorhaben einen langen Atem haben“, sagt die Wissenschaftlerin. „Die Studierenden haben es verdient, dass wir ihnen eine gute Lehre anbieten.“

Und Jutta Häser hat noch ein weiteres Ziel vor Augen: „Ich arbeite daran, mit meinen Studierenden ins Ausland zu reisen.“ Die besten unter ihnen möchte sie nach Deutschland bringen. „Die brennen darauf, hier mal rauszukommen. Vielleicht kann ich sogar einige dafür gewinnen, in Deutschland zu studieren. Es ist so wichtig, mit anderen internationalen Studierenden zusammenzukommen, zu sehen, wie sie lernen und leben, und den Horizont zu erweitern“, so Häser, die als DAAD-Stipendiatin in Dänemark selbst erlebt hat, wie viel der Auslandsaufenthalt für den weiteren Werdegang bringt. Als DAAD-Botschafterin an der Bethlehem University berät sie Studierende und auch Lehrende über die Austauschprogramme und knüpft Kontakte zu deutschen Hochschulen, um Partnerschaften anzubahnen und diese für die Zukunft zu stabilisieren. Neben der Lehre versteht sie das als ihre Hauptaufgabe. Die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse der Studierenden seien dabei oft ein Problem, aber auch die Tatsache, dass die Bethlehem University die politische Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) gegenüber Israel unterstützt. Daraus dürfe den Institutionen in Deutschland kein Nachteil erwachsen, wenn sie später wieder mit Israel zusammenarbeiten. Nichts ist einfach in den palästinensischen Gebieten. 

In der bevorstehenden Heiligen Nacht wird Jutta Häser erneut mit einer christlichen Gruppe von Jerusalem nach Bethlehem wandern. Eine gute Gelegenheit, um wieder langen Atem zu schöpfen für alle Vorhaben im nächsten Jahr.

Langzeitdozentur in Bethlehem: „Nichts ist einfach“

Privat

Ausflug zu einem der ältesten bewohnten Klöster weltweit: dem griechisch-orthodoxen Mar Saba in der Nähe von Bethlehem.

Britta Hecker (22.12.2022)

Kurz nachgefragt bei Prof. Dr. Jutta Häser

Mein Lieblingsort in Bethlehem: Die Katharinenkirche neben der Geburtskirche

Meine Lieblingsspeise in der Region: In Olivenöl eingelegte Käsekugeln zu frischem Fladenbrot

Mein Lieblingsausflugsziel in der Region: Die Jordan-Quellen