Europäische Hochschulen: Regulatorische Hürden überwinden

DAAD

Campus Europa ist der DAAD-Podcast zu den Europäischen Hochschulallianzen. DAAD Aktuell begleitet die aktuellen Folgen mit weiteren Stimmen aus den verschiedenen Allianzen.

Europäische Hochschulallianzen arbeiten länderübergreifend zusammen. Sie müssen dabei unterschiedliche Regeln beachten und rechtliche sowie regulatorische Hürden überwinden, um reibungslose Abläufe und gelungene Kooperationen zu ermöglichen. Drei Vertreterinnen und Vertreter der Allianzen AURORA, ENHANCE und UNIC berichten, was sie dazu vorhaben. 

Im Jahr 2017 forderten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die Mitgliedsstaaten auf, strategische Partnerschaften zwischen Hochschuleinrichtungen in der gesamten EU zu fördern. Das Ziel: an den Europäischen Hochschulen engagierte Europäerinnen und Europäer zusammenzubringen, die in der Lage sind, in verschiedenen Sprachen über Ländergrenzen hinweg zu kooperieren, um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Inzwischen setzen nach zwei Ausschreibungsrunden der Europäischen Kommission insgesamt 41 europaweite Hochschulallianzen ihre Konzepte um.

Bei der Etablierung der Europäischen Hochschulen arbeiten Universitäten aus vielen verschiedenen Ländern zusammen, in denen jeweils unterschiedliche Regeln gelten. Diese Herausforderung ist zwar kein neues Thema für den Hochschulbereich – mit den Europäischen Hochschulen geraten die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen jedoch wieder neu in den Blick. Der letzte Beitrag von Campus Europa zu dieser Serie thematisiert regulatorische Hürden, mit denen die Europäischen Hochschulallianzen konfrontiert sind, und beleuchtet entsprechende Lösungsansätze, um diese zu überwinden. Zwei Projektmitarbeiter und eine Studierendenvertreterin der Allianzen AURORA, ENHANCE und UNIC berichten aus der Praxis.

AURORA

Europäische Hochschulen: Regulatorische Hürden überwinden

Privat

Marcus Lamprecht, hier bei einem Arbeitstreffen der Allianz AURORA an der Partneruniversität University of Napoli Federico II in Neapel, arbeitet als Koordinator für Digital Student Data Portability an der Universität Duisburg-Essen. 

„Die AURORA-Allianz zeichnet sich durch das gemeinsame Commitment ihrer Mitgliedshochschulen aus, gesellschaftlichen Wandel gestalten zu wollen. Ziel der Allianz ist die gemeinschaftliche Entwicklung einer neuen Form des sozialen ‚Innopreneurship‘ und die Befähigung ihrer Universitätsangehörigen, sich bestmöglich an der Suche nach Lösungen für die großen ökologischen und ökonomischen Herausforderungen zu beteiligen. Dass es uns als Universität Duisburg-Essen möglich ist, dieses große Ziel mit unseren Partneruniversitäten zu verfolgen, ist auch in der Projektarchitektur begründet. Während Kooperationen mit Hochschulen auf Fakultätsebene dezentral, oftmals ‚bottom-up‘ und aufgrund von individuellen Engagements zustande kommen, wurden Entscheidungen für AURORA im Wesentlichen – unter Beteiligung und durchaus kritischer Diskussion des Senats – im Rektorat getroffen. AURORA ist dabei von Beginn an partizipativ aufgebaut worden: mit zahlreichen inhaltlichen Arbeitsgruppen, Adhoc-Kooperationen sowie unter breiter und weitreichender Studierendenbeteiligung.



Einen besonderen Mehrwert im Rahmen institutioneller Zusammenarbeit kann AURORA durch kurzzeitige, virtuelle Mobilitätsangebote und kollaborative Lehrformate entfalten. Allerdings sehen die Hochschulgesetze, darunter auch das für die Universität Duisburg-Essen maßgebliche nordrhein-westfälische Hochschulgesetz, aktuell noch keinen entsprechenden Status für die Einschreibung Studierender der AURORA-Partneruniversitäten im Rahmen untersemestriger, virtueller Mobilitäten vor. Auch im Rahmen der Sozialgesetzgebung gibt es Herausforderungen: Beispielsweise besteht formell eine Krankenversicherungspflicht im Rahmen der Einschreibung.

Die Hürden, die in der Gesetzgebung verortet sind, können wir als Universität Duisburg-Essen nicht allein aus dem Weg räumen. Dazu braucht es hochschulübergreifende gemeinsame Initiativen unter Mitwirkung der jeweiligen Landesrektorenkonferenzen und des DAAD. Trotz dieser Hemmnisse haben wir als AURORA-Allianz bereits erste gemeinsame Erfolge erzielt und ein institutionsweites Mobilitätsabkommen vereinbart, das fakultätsübergreifenden Austausch ermöglicht. Dabei steht AURORA für ein großes Potenzial und eine große Bereitschaft, voneinander zu lernen.“

Mehr über AURORA

Die Aurora European Universities Alliance, kurz AURORA, ist ein Zusammenschluss von neun europäischen Hochschulen:

  • Copenhagen Business School (Dänemark)
  • VU Amsterdam (Niederlande)
  • Universität Duisburg-Essen (Deutschland)
  • University of East Anglia (England)
  • Universität Innsbruck (Österreich)
  • Palacky University Olomouc (Tschechien)
  • University Rovira and Virgili (Spanien)
  • University of Napoli Federico II (Italien)
  • University of Iceland (Island)

AURORA verfolgt als übergeordnetes Ziel die Entstehung eines europäischen, grenzenlosen virtuellen Campus, auf dem Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen, lehren und forschen. Dabei steht die Verknüpfung von gesellschaftlicher Verantwortung und akademischer Exzellenz in Lehre und Forschung im Mittelpunkt. Zudem zielt das Netzwerk auf die Veränderung von Bildungsstrukturen, -kultur und -praxis zur Vorbereitung der Studierenden auf die gesellschaftlichen Herausforderungen innerhalb eines grenzenlosen Europas ab. Die Leitidee von AURORA ist „Social Entrepreneurship and Innovation“. Dabei werden externe Akteurinnen und Akteure in die Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Expertinnen und Experten einbezogen. So soll die Transformation der Hochschulen in Europa zu nachhaltigen Institutionen entsprechend der Sustainable Development Goals (SDGs) vorangetrieben werden.

ENHANCE

Europäische Hochschulen: Regulatorische Hürden überwinden

Privat

Julian Irlenkäuser ist Mobility Referent der Europäischen Hochschulallianz ENHANCE an der Technischen Universität Berlin.

„Die Akkreditierung gemeinsamer Studienabschlüsse, sogenannter Joint Programmes, stellt für ENHANCE eine große Hürde dar. Die parallele Akkreditierung eines Studiengangs in mehreren europäischen Rechtssystemen bedeutet einen großen bürokratischen Aufwand. Hier sollte der 2015 verabschiedete ‚European Approach‘ eigentlich Abhilfe schaffen. Leider wurde dieser in Deutschland nur unvollständig in nationales Recht überführt. Darüber hinaus spielen regulatorische Hürden rund um die Anerkennung von Studienleistungen für ENHANCE eine große Rolle. Daher streben wir eine Vereinfachung und Flexibilisierung der Prozesse an. Auch die abweichenden Semesterzeiten innerhalb Europas sind eine zentrale Hürde: Während zum Beispiel das Sommersemester in Norwegen bereits im Januar beginnt, geht die Prüfungsphase an den deutschen Universitäten meist noch bis Ende Februar. Diese Überlappung erfordert von allen Beteiligten einen stark erhöhten Planungsaufwand, um Mobilitäten zwischen Winter- und Sommersemester überhaupt zu ermöglichen.

Vor dem Hintergrund der erwähnten Schwierigkeiten bei der Akkreditierung von Joint Programmes hat sich ENHANCE für einen innovativen Lösungsansatz entschieden: Mit den European Education Pathways gehen wir zwar ebenfalls in die Richtung integrierter gemeinsamer Studienprogramme; aber statt gemeinsamer Abschlüsse wie Double oder Joint Degrees anzuvisieren, setzen wir auf eine enge technische und organisatorische Integration der beteiligten Pilotprogramme, um eine möglichst reibungslose Mobilitätserfahrung für die Studierenden zu ermöglichen.

Auch die technische Vernetzung unterliegt vielfältigen Hürden. Was die Campus-Managementsysteme anbelangt, befinden wir uns derzeit in einer Entwicklungs- und Testphase, um Schnittstellen zwischen den Systemen zu ermöglichen. Wir hoffen, noch im laufenden Jahr erste Erfolge für den Austausch relevanter Datensätze wie Modulkataloge oder Studienleistungen erzielen zu können.

Einen wirklich durchschlagenden Erfolg versprechen wir uns zeitnah im Bereich der automatischen Anerkennung. Unser ambitioniertes Ziel ist es, bis Ende dieses Jahres gemeinsame Prozesse implementiert zu haben, die es uns ermöglichen, Module der Allianzpartner in die eigenen Systeme zu integrieren, sodass diese für die Studierenden auf die gleiche Art wählbar werden wie die Module ihrer jeweiligen Heimatuniversität. Das würde einen Anerkennungsprozess erstmals gänzlich überflüssig machen und dementsprechend zu einer wirklich ‚automatischen‘ Anerkennung führen.“

Mehr über ENHANCE

Die European Universities of Technology Alliance, kurz ENHANCE, vereint sieben forschungsstarke Technische Universitäten in Europa mit einem starken Fokus auf wissenschaftlich-technischer Innovation und gesellschaftlicher Verantwortung:

  • Norwegian University of Science and Technology (Norwegen)
  • Chalmers University of Technology (Schweden)
  • Technische Universität Berlin (Deutschland)
  • RWTH Aachen University (Deutschland)
  • Warsaw University of Technology (Polen)
  • Politecnico di Milano (Italien)
  • Universitat Politècnica de València (Spanien)

Die Allianz setzt sich für die uneingeschränkte Mobilität aller universitären Statusgruppen ein. Sie möchte mit ihren Aktivitäten in die Gesellschaft hineinwirken, um so die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft auf allen Ebenen zu stärken. Durch entstehende Synergien strebt ENHANCE an, die digitale und soziale Transformation nachhaltig voranzutreiben und zu gestalten. Die Pilotthemen „Climate Action“, „Sustainable Cities“ und „Digitalization“ setzen dabei Schwerpunkte für die Arbeit von ENHANCE. Das übergeordnete Ziel der nahtlosen Mobilität zwischen den Partnern, zusammen mit den notwendigen Reformen zentraler administrativer Prozesse, ist im Arbeitspaket „One Campus“ zusammengefasst. Damit ENHANCE zu einer Europäischen Universität für jede und jeden werden kann, sind alle Aktivitäten von den Leitlinien des Arbeitspakets „Diversity and Gender Equality“ durchzogen. Auch die Forschungskooperation innerhalb der Allianz soll nachhaltig gestärkt werden. Hier profitiert ENHANCE zusätzlich vom nationalen Begleitprogramm des DAAD sowie dem Horizon 2020 Programm „Science with and for Society“, das die Allianz durch das Teilprojekt „ENHANCERIA“ weiter vorantreibt.

UNIC

Europäische Hochschulen: Regulatorische Hürden überwinden

Privat

Nina Alexandra Harbecke studiert Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Zudem engagiert sie sich als studentische Vertreterin der Allianz UNIC.

„Besonders ausgeprägt ist in UNIC die virtuelle Mobilität, durch die sich viele neue Möglichkeiten in der Onlinelehre ergeben. Die ‚UNIC Opened Courses‘ beispielsweise sind ein Mobilitätsangebot, das es den UNIC-Studierenden ermöglicht, online an Kursen teilzunehmen und sich diese für ihr Studium anrechnen zu lassen. So zumindest in der Theorie. Praktisch fangen die Hürden schon bei der Zulassung zu den Kursen an, oftmals ist die Registrierung kompliziert. Problematisch kann auch die Anrechnung dieser Kurse sein, zum Beispiel in den Rechtswissenschaften und der Medizin. Was die physische Mobilität angeht, ergeben sich momentan vor allem Fragen zur Kategorisierung von Studierenden, die Kurzzeitmobilitäten und sogenannte ‚Blended Mobilities‘ anstreben, also die Kombination von physischer und virtueller Mobilität. Welchen Status bekommen diese Studierenden, wie sollen sie eingeschrieben werden? Welche Förderungen können sie in Anspruch nehmen? Dadurch, dass solche Arten der Mobilität gerade erst entstehen, fehlen oftmals Regularien, wie damit umzugehen ist, und neue Formen müssen etabliert werden. 

Erste Lösungsansätze sind uns dahingehend gelungen, eine Nische für die Anrechnung von UNIC-Kursen in einigen Studiengängen zu finden, zum Beispiel in den Rechtswissenschaften. Für die Anmeldung zum ersten Staatsexamen ist der Nachweis einer Fremdsprachenqualifikation notwendig; dieser kann jetzt auch durch UNIC-Kurse erworben werden. Für uns ist das ein großer Erfolg, und wir arbeiten intensiv darauf hin, dass Studierende jeder Fakultät mittels der Angebote von UNIC anrechenbare Nachweise für ihr Studium erbringen können. Die ersten Lösungsansätze wurden auch für Blended-Mobility-Kurse gefunden.  

Um künftig für verbesserte Rahmenbedingungen in Bezug auf Studierenden- und Lehrendenmobilität zu sorgen, planen wir, die UNIC-Angebote noch stärker zu bewerben, sowie mehr Aufklärung darüber, wie Lehrende und Studierende sich aktiv selbst einbringen können. Uns ist viel daran gelegen, Lehrenden Schulungen anzubieten, zum Beispiel zum Thema Virtual Exchange, aber auch allgemein zu den Themen Internationalisierung und Konzeption von Blended-Learning-Formaten. 

Unter der Leitung der Universität Zagreb konzipiert UNIC die Entwicklung des UNIC Virtual Campus, auf dem unter anderem die Campus-Managementsysteme der Partneruniversitäten miteinander kommunizieren sollen. Nicht nur die Kurswahl, sondern auch die Übermittlung von Noten soll in Zukunft über den UNIC Virtual Campus realisiert werden.“

Mehr über UNIC

Die European University of Post-Industrial Cities, kurz UNIC, ist ein Netzwerk von acht Partneruniversitäten:

  • University of Oulu (Finnland)
  • Erasmus University Rotterdam (Niederlande)
  • University College Cork (England)
  • University of Liège (Belgien)
  • Ruhr-Universität Bochum (Deutschland)
  • University of Deusto (Spanien)
  • University of Zagreb (Ungarn)
  • Koc University (Türkei)

Die Allianz möchte den Studierenden, Lehrenden, Forschenden und dem Verwaltungspersonal eine europäische Lern-, Lehr- und Arbeitserfahrung ermöglichen. UNIC-Studierende und -Mitarbeitende sollen in ganz Europa studieren, lehren und arbeiten können und sich zu Change Agents entwickeln, die eine wichtige Rolle bei der Transformation der postindustriellen Stadtregionen der Zukunft spielen. Zudem will UNIC das Thema Inklusion entscheidend weiter voranbringen, indem das Netzwerk die Superdiversität der beteiligten postindustriellen Städte nutzt, um neue Möglichkeiten für alle Studierenden in Europa zu erschließen.

Sabine Moser (5. April 2022)

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